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Im Licht

meines Schattens

„Ein Raum. Voller Menschen. Voller Chemie. Voller Schicksale. Ich bin nicht wie sie. Und doch haben wir etwas gemeinsam. Ich möchte wegrennen und zeitgleich weiß ich, dass ich keine Wahl habe. Die Chemo läuft durch meinen Körper. Mal wird mir schlecht, mal heiß, mal fühle ich mich, als ob ich jeden Moment eine Grippe bekomme. Dabei habe ich doch bereits eine schwere Krankheit. 

 

Eine Krankheit, die Grenzen überschreitet. So wie ich – damals. Mit dem Saxophon um den Hals, dem Mikrofon in der Hand. Grenzen, die bunt waren, leuchtend, berauschend. Immer wieder neue Ereignisse, Menschen. Ich singe, liebe, tanze, bin frei. Und achte doch zu wenig auf mich, schlucke vieles runter. Bis ich nicht mehr schlucken kann.

 

Zu meiner Diagnose: Ein Heiratsantrag. Tränen, Liebe, Träumereien und Glück. Angst? Die Medikamente machen, dass ich weniger fühle – und doch stelle ich mir vor, wie ich eine große Abschiedsparty feiere. Streit – ich strenge mich nicht genug an, sagt er. Wut, Ratlosigkeit und Hoffnung. Nicht in die Klinik. Aber in den Doktor, hier in meiner Nähe. Vertrauen, Genesung, Tage, an denen ich mich endlich wieder über Alltags-Problemchen aufregen kann – so gut geht es mir manchmal. 

 

Jeder Tag ist anders. Mein Bauch ist voller Wasser – erst vor Kurzem hat er vor lauter Lachen noch weh getan, als wir gemeinsam meine Haare abrasierten und es zelebrierten, als gäbe es kein Morgen. Ich weiß nicht, ob es ein Morgen gibt. Denn jeder Tag ist anders. Während andere Sonntagsabends über die Arbeit motzen, weine ich, weil nach kurzer Erholung eine neue Chemo-Phase beginnt. Ich habe keine Wahl, wenn ich mich für mein Leben entscheide. 

 

Phasenweise. Licht und Schatten. Mein Leben fühlt sich bittersüß an. Umgeben von Menschen, die mich lieben – so sehr, dass sie meinen Tod niemals akzeptieren würden. Macht es all das leichter? Ich weiß es nicht. 

 

Doch was ich weiß, fühle: Ich darf mich und meinen Körper lieben – auch heute, umso mehr. Wir beide leisten so viel. Ich bin nicht sauer auf meinen Körper. Ich hinterfrage nicht. Ich will gesund werden. Ich werde gesund. Und dann feiern wir eine Hochzeit und keine Abschiedsparty. Dann singe, liebe, tanz ich. Bin frei."

Julia Moser

Julia ist 34 Jahre alt und hat vor einem Jahr die Diagnose Magenkrebs erhalten. Seitdem lebt sie mit der Gewissheit, dass ihr Leben nie wieder das gleiche sein wird, da ihre Krankheit genetisch bedingt ist.

Sie strahlt – und berührt uns so sehr mit all dem Licht und all dem Schatten, den sie in ihrem Herzen trägt.

Nachtrag: Julia ist im Januar 2020 an ihrer Krebserkrankung verstorben. Ihre Trauerfeier war ein Fest des Abschiednehmens, genau so, wie Julia es gemocht hätte. Die Erinnerung an sie tragen wir für immer im Herzen.

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