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Sexpositivismus

fuck as you are

Schmuddel-Image, gesellschaftliche Rollenbilder oder stereonorme Klischees. Der klassische Sexshop ist alles andere als ein Ort der Begegnung auf Augenhöhe. Und schon gar nicht ein Raum, in dem Sexual Empowerment entsteht. Geht das noch anders!? Rosa Schilling hat in Hamburg, gemeinsam mit den drei Gefährt*innen Fränky, Florian und Zarah, vor rund zwei Jahren Deutschlands erstes Sexshop-Kollektiv gegründet und einen passenden Laden dazu eröffnet. Wir haben einen Nachmittag mit Rosa verbracht – um mehr über die Arbeit eines feministischen und sexpositiven Shops zu lernen. Denn das Kollektiv zeigt auf einfühlsame Art, wie vier unterschiedliche Menschen gesellschaftlich geprägte Bilder aufbrechen, selbstbestimmte Sexualität in die Welt bringen und über Gleichstellung mit alten Konventionen brechen.

 

Gleichberechtigung und Sichtbarkeit, Austausch auf Augenhöhe, Empathie und Selbstliebe. Was sich anhört wie das Wochenend-Retreat einer Frauen*-Gruppe, wird an vier Tagen die Woche ganz selbstverständlich, vertraut und ohne viel TamTam in einem kleinen Laden im Hamburger Gängeviertel praktiziert und gelebt: Sexpositivismus. Unabhängig vom Geschlecht, der sexuellen Orientierung, dem sozialen Hintergrund. 

 

Zwischen Vibratoren, Literatur und silikonfreien Gleitgelen wird schnell klar, dass bei Fuck Yeah nicht der Umsatz, sondern die Mission Treibstoff des Vierergespanns ist.. Der Platz im Laden ist überschaubar, die Regale sind voll, wecken Interesse und auch Lust. Gerade erst sind Luise und ich in den gemütlichen Laden geschlendert, da kommt ein Mitvierziger-Paar hereinspaziert und fragt, ob denn die süßen „Pizza-Roller“ schon geliefert worden seien. Rosa verschwindet kurz im Lager. Lächelnd kommt sie zurück. „Die Lieferung ist vor Kurzem angekommen!“, sagt sie und packt den „Pizza-Roller“ aus. Es handelt sich um einen metallenen Griff, an dem eine kleine Rolle mit stumpfen Nädelchen steckt – im Kindergarten habe ich damit früher meine Knete bearbeitet. Jetzt bearbeiten sich damit Liebende, die sich in vollstem Vertrauen auch ein wenig Schmerz hingeben wollen. Irgendwie muss ich grinsen. Ob Rosa nicht manchmal Kopfkino bekäme, bei all den Menschen und ihren sexuellen Vorlieben? „Quatsch, gar nicht. Du findest mit der Zeit die perfekte Balance zwischen Empathie und Abgrenzung. Ich fühle mich ein – und gebe den Menschen, die hierherkommen, einen neutralen Raum, in dem ich ihren sexuellen Neigungen mit Respekt und ohne Vorurteile begegne.“ Rosa spricht diese Worte genauso samtweich wie die kuschlige Samtleggings, die sie an diesem Tag trägt. 

 

„Empathie und Abgrenzung – beides brauchst du, um Menschen mit Respekt in einem neutralen Raum begegnen zu können.“ 

Ist denn alles okay, was uns erregt, will ich wissen? „Natürlich – so lange all diese Dinge in Einvernehmen praktiziert werden. Das gemeinsame Einverständnis zu einer bestimmten, sexuellen Vorliebe oder Handlung steht an oberster Stelle für uns.“ Und dann darf es so bunt, leidenschaftlich, wild, schmusig, glitzerig, hart, so fantasievoll oder verspielt sein, wie wir wollen. Oder eben auch nicht. Denn auch das ist oft ein tabuisiertes Thema. „Jede*r von uns hat auch mal asexuelle Phasen. Darüber habe ich hier schon oft mit Menschen gesprochen. Es gibt Tage, Wochen, Monate, in denen du vielleicht keine Lust auf Sex hast. Dann ist die Lösung nicht ein neues Toy oder eine Packung Gleitgel, sondern dass du einen Blick darauf wirfst, was dich und deinen Körper gerade beschäftigt. Annehmen und sich Zeit geben, gehört genauso zu einer gesunden, positiven Sexualität“, erklärt mir Rosa, als wir gemütlich zwischen feministischen Pins, Handschellen und Strap-Ons sitzen. 

Rosa ist gelernte Buchbinderin, studierte Kulturwissenschaftlerin und Mitgründerin des Sexshop-Kollektivs Fuck Yeah. Bei dem es übrigens keinen Chef oder Chefin gibt, sondern alles gemeinsamschaftlich entschieden wird. Schon in ihrer Schulzeit begriff Rosa, dass Sexualität auch immer etwas Politisches hat. Dass Geschlechter konstruiert sind und „Main Stream Sexualität“ enkulturiert ist. In der Uni begann sie mit ehrenamtlicher, aufklärender Arbeit rund um das Thema Sexualität. „Sex war schon immer mein Lieblingsthema“, strahlt Rosa. Wenn sie das ausspricht, klingt es professionell, leidenschaftlich, ehrlich und vertraut. 

 

„Vertrauen ist ebenfalls ein großer Teil unserer Arbeit hier vor Ort. Aber auch in den Workshops, die wir geben oder der Schularbeit, die wir immer mehr leisten. Wir wollen nicht nur verkaufen, sondern einen Raum schaffen, in denen Menschen ihrer Sexualität und ihren Begierden offen begegnen können.“ Wir lauschen Rosa – immer wieder kommen Menschen in den Laden. Alles wirkt selbstverständlich. Mitten in der Innenstadt pulsiert der Laden wie ein Zufluchtsort. Ein behüteter, queerer Raum, in dem wir Gender Expression Produkte entdecken – und nicht nur Sex stumpf konsumieren. Ich halte einen hautfarbenen, weichen Silikon-Penis in der Hand, der sich wie ein Hautschmeichler in die Innenfläche meiner Hände schmiegt. Ein Stuffer. Den nutzen Menschen, um ihn im Alltag zu tragen. Oder auch im sexuellen Kontakt. Fuck Yeah ist offen für alle geschlechtliche Identitäten. Das fühle ich nicht nur in der Begegnung mit Rosa, sondern erlese und bewundere ich in der Literatur, der Kunst, den Kleinigkeiten wie Armbändern oder heißen Wundertüten, die das Kollektiv liebevoll arrangiert.  

 

„Wir wollen nicht nur verkaufen, sondern einen Raum schaffen, in dem Menschen ihrer Sexualität und ihren Begierden offen begegnen können.“

 

Gerade macht Rosa neben der Arbeit im Laden und der Betreuung eines Rollstuhlfahrers in Teilzeit noch eine Ausbildung zur Sexualpädagogin in Duisburg. Auch das ist Teil von Fuck Yeah – vier Menschen, die all ihre Zeit und auch einen Teil ihres Geldes in die Mission einer sexpositiven Welt stecken. „Mein Traum ist es, dass es irgendwann in jeder Stadt einen sexpositiven Shop gibt. Er muss nicht sein wie Fuck Yeah – aber er soll mit dazu beitragen, dass den gesellschaftlich geprägten Bildern von Mann, Frau und Geschlecht Paroli geboten werden kann.“ 

 

Auch darüber tauschen wir uns aus. Mit Online-Plattformen wie eis.de oder Amorelie sind wir vermeintlich offener, wilder, sexier geworden. Der Weg in den Sexhop fällt weg – der Kauf, anonym und diskret. Vielleicht auch unmenschlich? „Ich sehe diese Plattformen besonders in der Kommunikation kritisch. Am Ende kaufen wir auch wieder nur ein Bild, das konstruiert ist. Und gerade die Sexualität der Frau wird in dieser übertriebene Candy-bunten Werbewelt wieder in dieses Spannungsfeld von „Hure vs. Heilige“ gebracht. Das ist ein anerzogenes, tief verwurzeltes, gesellschaftliches Bild, das wir nicht unterstützen wollen.“, so Rosa.

Um noch mehr Menschen außerhalb ihrer Ladenzeiten zu erreichen, bieten Rosa und ihre Mitstreiter*innen regelmäßig Workshops an. Zum Beispiel den Einstieg in Bondage-Praktiken. Oder die Anleitung dazu, wie du selbst ein sicheres Upcycling-Toy herstellen kannst. „Mir liegen die Workshops rund um unsere Sprache wirklich am Herzen. Wie kann ich meine Wünsche liebevoll mitteilen? Wie konstruieren wir mit Sprache Sexualität und Körperbilder? Was ist meine ganz persönliche Sprache über Sex? Brauche ich Dirty Talk? Sex und Sprache sind beides Formen von Interaktion zwischen zwei Menschen und können in Einklang ein selbstbewusstes Fundament für die eigene sexuelle Identität bilden. Die Workshops sind immer super schnell ausgebucht.“ 

 

 

„In unseren Workshops stellen wir zum Beispiel die Frage: Wie konstruieren wir mit Sprache Sexualität und Körperbilder?“ 

 

Wir bewegen die müden Beine – seit einigen Stunden unterhalten wir uns, lachen und begreifen. Während wir vor dem Regal mit den Dildos stehen, frage ich Rosa, ob es denn sowas wie ein Öko-Siegel oder ähnliches gibt. „Oh, das ist eine tolle Frage!“, erwidert Rosa und nimmt einen bunt gemusterten Dildo in die Hand. „Dieser hier zum Beispiel – der ist handgegossen in einer Manufaktur in England. Deshalb ist er auch ein bisschen teurer. Wir achten darauf, dass all unsere Produkte aus medizinischem Silikon bestehen und „bodysafe“ sind. Auch das ist ein Teil von Safer Sex – sichere, körperlich unbedenkliche Gender Expression Produkte anzubieten.“ 

 

Zu Sexpositivismus gehört auch die Aufklärung über Krankheiten. Nicht unbedingt sexy – aber wichtig. Vor allem in Anbetracht dessen, dass sexuell übertragbare Krankheiten wie Chlamydien unter jungen Menschen wieder vermehrt zunehmen. Lecktücher, Latexhandschuhe, Kondome – in allen Farben, Größen, Formen. Auch dieses Thema darf leicht sein, integriert werden in Lust und Liebelei. 

 

Am späten Nachmittag verlassen wir Fuck Yeah. Elektrisiert, informiert, dankbar. Mit der Gewissheit, dass Sexpositivismus vor allem durch Menschen wie Rosa entsteht. Die uns ermutigen, aufklären, abholen. Die Scham aufbrechen. Die ein bisschen Konfetti und ebenso viel Know-how in die Komplexität rund um die eigene, sexuelle Identität bringen. Damit wir uns eines Tages alle sicher fühlen, um sagen zu können: „I fuck as I am!“  

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